Heiliger Kram

Heiliger Kram

(Aus dem Vorwort)

Beim Aufräumen sollen sie in die Kiste der Erinnerungen. Für die Kiste zum Aussortieren sind sie zu schade. Denn sobald sie in der Hand sind, werden Gefühle wach, werden diese Gegenstände transparent, und durch sie hindurch sind wie in einem Vergrößerungsglas Erlebnisse und Bilder da, die nicht vergessen, nur sehr weit zurückgetreten sind in der Lebensgeschichte. Die Schuhe des Dreijährigen. Von der Mutter wurden sie in der entsprechenden Schublade aufbewahrt. Die uneingestandene Sehnsucht war dabei, die Kindlichkeit des Kindes festzuhalten, das größer wurde und aus den Schuhen herauswuchs. Aber das Leben lässt sich nicht festschreiben. So blieb von der übrigen Bekleidung mehr als nur ein nicht länger benötigter Gebrauchsgegenstand. In die Hand genommen und angesehen wird er mit dem leisen Seufzer des Vergangen-Gegenwärtigen, der die schlichte Sache zu einem Kondensat von unterschiedlichen Gefühlen macht. So berührt der inzwischen erwachsene Träger die Schuhe, und sofort ist der Sachwert durch einen Lebenswert überhöht, und der Gegenstand leuchtet. Er wirft ein Licht auf die beschrittene Lebenslinie, die mit den getragenen und ausgetretenen Schuhen nie ausreichend beschrieben ist, und für die eine Beschreibung von Entwicklungen und Umwegen im biographischen Überblick umfassender sein muss. Die Erfahrung von Identität ist mehr als fraglich und wird im Anblick des Niedlichen vielleicht schmunzelnd angezweifelt. Und doch ist sie da und kann nur mit einer Denkanstrengung hergestellt werden. Sie ist symbolisch vorhanden.

Solche Kondensat-Gegenstände sind Träger von unterschiedlichen Bedeutungsfacetten.
Sie sind gleichzeitig Gegenstand und Verweis.
Sie sind durchsichtig auf eine andere Wirklichkeit.
Sie lassen ambivalente Gefühle und Reaktionen zu.
Sie tragen ein Mehr an Bedeutung.
Sie lassen Transzendenz in der Alltagswirklichkeit durchscheinen.
Sie geben eine Ahnung des Heiligen in der profanen Welt.
Sie sind heiliger Kram…

Theologisches Nachdenken bewegt sich deshalb auf der Grenze des Vorfindlichen zu dem, was dieses übersteigt. Diesseits und Jenseits sind die Grenzpfeiler für diese ständige Bemühung… „Das Unendliche ist in jedem Endlichen gegenwärtig, sowohl im Stein als auch im Genius.“ (Paul Tillich)

Mit der Erwähnung von „Genius“ und „Stein“ ist die Spannweite zwischen Geist und Materie auf einen treffenden Begriff gebracht. Die Aufmerksamkeit wieder mehr auf den „Stein“ zu richten und die sperrige Frage zu stellen, wie Gottes Anwesenheit im Stein zu denken ist, kann dem Glauben eine andere Weite und Tiefe geben.

Burkhart Mecking

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